Sehen statt Hören

Gesellschaft (D 2025)
Auf der Bühne der Münchner Kammerspiele sind sie taub, hörend, mit kognitiven Beeinträchtigungen und Trisomie. Die Unterschiede sind klar – das gemeinsame Ziel auch: Ein Stück erarbeiten Sie erarbeiten auf Augenhöhe ein Theaterstück, das die unterschiedlichsten Sprachebenen bedient: Lautsprache, Gebärdensprache, Deaf Performance, Visual Sign, Mittelhochdeutsch. Im Theaterraum geht es – wieder einmal – darum, einen Klassiker auf jene Bretter zu bringen, die vielen Menschen die Welt bedeuten. "Tristan und Isolde" – Ein Klassiker über Liebe und Leiden, vor allem fürs Musiktheater, genauer für die Oper. Denn Richard Wagner schrieb aus dem mittelalterlichen Sagenstoff eines seiner berühmtesten Musikdramen. Nun versammelt aber in den Münchner Kammerspielen die Regisseurin Nele Jahnke durchaus keine Opernsängerinnen und Opernsänger um sich. Richard Wagner soll anklingen – sichtbar anklingen: durch DeafPerformance! Ein wenig Gesang darf auch sein. Basis ist aber weniger die Sageninterpretation Wagners als der Versroman von Gottfried von Straßburg. Die Originalgeschichte schlägt eine Richtung vor – ohne den Weg zu zitieren. Ob das Liebespaar auch in den Kammerspielen so dramatisch sterben muss – oder gar noch dem Tod von der Schippe springen kann? Die Regisseurin ist nach den ersten gemeinsamen Probenwochen selbst noch gespannt, wie die Erzählung in dieser Version enden wird. Weit mehr als die Story fordert Nele Jahnke und das Team die Frage, wie sie ihre Sage erzählen möchten. Es geht um das Unaussprechliche, das Vielbesungene, das Vielschichtige, das Missverständliche, das Mögliche und Unmögliche. Liebe. Menschen. Miteinander. Chaos? Im gemeinsamen Theaterraum liegen die verschiedensten Ausdrucksformen: hörbare und sichtbare, lebendige und bereits vergangene Sprachen, Musik und Gesang, Performance und Visual Sign. Und diese Ausdrucksformen werden erweitert oder hinterfragt durch das, was die Schauspieler und Schauspielerinnen und Dolmetschende selbst durch ihre Möglichkeiten oder Grenzen mitbringen. Und darüber hinaus verschwimmen gelernte Grenzen: Beispielsweise sind Dolmetschende nicht mehr reine Sprachmittler – sondern werden selbst zu Akteuren. Hörende gebärden mit. Musik wird sichtbar, Gebärdensprache hörbar. Chaos? Sehen statt Hören begleitet den Probenprozess und das Ringen aller Beteiligten, die Grenzen auf den Theaterbrettern zu erweitern, auch weil die unterschiedlichen Bedürfnisse das einfordern. Oder gar, indem sie etwas ganz Neues versuchen.
- Vielfalt für alle – Theater ohne Barrieren.